Kunstvoll mit Konflikten leben

Ich brauche keine Bücher zu lesen, um zu wissen,
dass das Grundthema unseres Lebens Konflikte sind;
all meine Clownereien entspringen dieser Erkenntnis.

Charlie Chaplin

1. Die Kunst, Konflikte wertzuschätzen und zu unterscheiden

Lange hatte ich die Vorstellung, die allgegenwärtigen Konflikte seien möglichst zu beseitigen, zu beenden und sowieso lösbar.
Schließlich strengen sie an, strapazieren unsere Geduld und kosten oft viel Kraft, wenn wir sie auszuhalten versuchen, und sie stören nachhaltig das weit verbreitete Harmoniebedürfnis!

Inzwischen meine ich, dass es manchmal sogar geboten sein kann, Konflikt zu schüren und sich mit Ernst auseinander zu setzen. Dazu ist die Annahme hilfreich, dass Konflikt auch eine Funktion haben und eine Botschaft transportieren können: Hier ist eine Entwicklung oder Klärung notwendig!

Bild von einem streitenden Paar mit erhobenen Fingern und ärgerlichen Gesichtern

Bild von einem streitenden Paar mit erhobenen Fingern und ärgerlichen Gesichtern
(unsplash-Foto von Afif Ramdhasuma)

Es erscheint mir als hohe Kunst, zu erkennen, wann es besser ist, einen Konflikt auf sich beruhen zu lassen oder ihn aktiv zu schüren oder zumindest ausdrücklich zu benennen.

2. Die Kunst, einen Konflikt zu schüren

2.1 Entscheiden, dass dieser Konflikt den Einsatz lohnt

Nicht jeder Konflikt verdient unsere Aufmerksamkeit: Geht es um grundlegende Werte oder Prinzipien oder zeigt der Konflikt eine Herausforderung, die noch nicht geklärt ist?

Oder dient der Konflikt einer Gruppe oder einem Akteur, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen oder auch, von einem offensichtlichen anderen wichtigen Thema abzulenken?

2.2 Sich ernsthaft und mit Einsatz auseinandersetzen und Konflikte moderieren

Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten – ich neige inzwischen mit dem Autor Klaus Eidenschink zum Begriff „Konfliktmoderation“ – erfordert ernsthafte Auseinandersetzung, Einsatz von allen beteiligten Parteien und Risikobereitschaft. Es ist wichtig, die eigenen Argumente klar zu kommunizieren. Gleichzeitig hilft, offen für die Perspektiven oder auch Erkenntnisse anderer zu sein. Respekt ist der Schlüssel zum gelingenden Konflikt-Dialog.

2.3 Fehler im Denken und der Wahrnehmung kennen und anerkennen

Wir irren uns immer wieder und manchmal sogar systematisch. Daher gehört zu einer ersthaften Konfliktmoderation, auch damit zu rechnen und sich einzugestehen, wenn man sich getäuscht hat oder nur einen Teil der Wirklichkeiten erkannt hatte. Nach meiner Erfahrung ist dies eher der Regelfall als die Ausnahme!

Der Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider formuliert zwei Bedingungen für ein gutes Streitgespräch:
(1) „Das eine ist, über Denkfehler Bescheid zu wissen. Bestimmte Trugschlüsse, die einem immer wieder begegnen, sollte man kennen. Zum Beispiel sehen wir Zusammenhänge, wo es keine gibt, überschätzen unser Wissen und sind überzeugt, dass unsere Meinungen das Resultat einer nüchternen Beurteilung von Fakten sind. Dabei ist es oft umgekehrt: Wir haben eine Meinung, lange bevor wir die Fakten kennen, und suchen uns im Nachhinein die passenden Fakten aus.“ Und
(2) „Man muss akzeptieren, dass wohlmeinende, intelligente und anständige Menschen bei Themen, die einem wichtig sind, anderer Meinung sein können.“
(Quelle SZ-Interview vom 21.08.2023, siehe unten)

Niemand ist fehlerfrei. Es zeugt von gepflegter Selbstreflexion und starkem Selbstbewusstheit, wenn jemand seine Wahrnehmungsverzerrung oder seinen Irrtum zuzugeben kann. Dies schafft Raum für persönliches Wachstum, fördert das Vertrauen in der Diskussion und in die Konfliktkultur.

3. Die Kunst, einen Konflikt zu beruhigen

3.1 Unlösbare Konflikte erkennen

Nicht jeder Konflikt hat eine Lösung. Es ist wichtig zu erkennen, wenn eine Situation festgefahren ist und ein konstruktiver Dialog nicht mehr möglich erscheint. In solchen Fällen kann es besser sein, den Konflikt ruhen zu lassen, um weitere Eskalationen zu vermeiden.

3.2 Den Aufwand klug abwägen

Manchmal sind Konflikte einfach den Aufwand nicht wert. Wenn der Energie- und Zeitaufwand, um einen Konflikt zu moderieren, in keinem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Nutzen steht, kann es klüger sein, sich zurückzuziehen und die eigenen Ressourcen (Aufmerksamkeit, Energie und Zeit) für wichtigere Angelegenheiten zu reservieren.

3.3 Die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beachten

In einer Welt, in der Clickbait und hohe Quoten oft große Bedeutung haben, ist entscheidend, sich von der medialen Anheizung nicht mitreißen zu lassen. Ein Faktencheck sollte auf jeden Fall vor jeder Stellungnahme erfolgen: Sind die Quellen seriös und welche Absicht steckt hinter einer möglicherweise sensations- und gefühlsheischenden Berichterstattung?

Konfrontative Situation während einer Demonstration

Konfrontative Situation während einer Demonstration (unsplash-Foto von Jonathan Harrison)

4. Vier Impulse zum Wachstum mit guten Wünschen

4.1 Andere sehen manchmal klarer als wir selbst

Der erste Impuls kommt nochmals vom Autor Reto U. Schneider:
„Ich habe gelernt, dass man all diese Täuschungen, Fehler und Illusionen wahnsinnig gut bei anderen erkennt – aber nicht bei sich selbst. Also versuche ich zu akzeptieren, dass andere gewisse Dinge an mir besser erkennen können als ich selbst.“

In der Kunst der Konflikte geht es um die Fähigkeit zur Unterscheidung, zum Durchschauen größerer Zusammenhänge, zur Selbstreflexion und zur empathischen Kommunikation.

4.2 Es gibt Hoffnung. Sie ist lernbar.

Der Internetpionier, Wired-Gründer und Zukunftsforscher Kevin Kelly rät dazu, unsere individuellen Lernkompetenzen zu kennen und auszubauen – und uns so Chancen zu eröffnen. Er ist überzeugt:
„Optimismus ist kein Wesenszug, sondern eine Fähigkeit, die man lernen kann.“
(brandeins/Thema Zukunft üben; 40)

Indem wir diese Fähigkeiten üben und weiterentwickeln, fördern wir konstruktive Diskussionen, Problemlösungen, Streitgespräche und Konflikte. Wir lernen so, Konflikte besser zu moderieren.

4.3 Idealisierungen und Erwartungen zu begrenzen, reduziert den Harmoniestress

Drittens kann es hilfreich und entspannend sein, keine idealistisch überzogenen Erwartungen an sich und andere zu pflegen, sondern auch mal selbstironisch auf vermeintliche Gewissheiten, Angewohnheiten oder Erwartungen zu schauen.

Psychologische Beratungsstellen berichten regelmäßig, dass an Weihnachten und zwischen den Jahren ein ungewöhnlich hoher Beratungs- und Schlichtungsbedarf anfällt, weil aufgeladene Erwartungen und Idealisierungen auf die Realitäten treffen und Enttäuschungen entstehen können, ja werden.

Dies wünsche ich Ihnen ‑ für Ihr persönliches Wohlbefinden und für eine streitbare und tolerante Gesellschaft!

4.4 Advent behauptet, dass Gott kommt. Lassen wir Ratlosigkeit und Begrenztheit zu!

Als Theologe werde ich mir gerade wieder bewusst, dass die „Ankunft Gottes“ auch heißen könnte, unsere Begrenztheit, ja manchmal auch Ratlosigkeit wahrzunehmen und als Wahrnehmung zuzulassen.
Das ist nicht immer „lustig“ und angenehm. Für Viele ist es allerdings eine grundlegende Wahrnehmung von der sie umgebenden Welt.

Sicher werden die nachfolgenden Handlungs- und Aushandlungsversuche zu heftigen Konflikten führen. – Dann ist das so und kann eine Aufgabe sein.

Quellen

Weitere Hinweise

Gerne verweise ich auf frühere Blogbeiträge:

Dieser Text wurde im Oktober und November 2023 entwickelt,
zuletzt geändert am 24.01.2024 /18:50 h     zur druckerfreundlichen Ansicht zur druckerfreundlichen Ansicht

Ferienzeit ist Orientierungszeit

Für viele Menschen ist jetzt im Sommer die Zeit, in der sie Urlaub machen können.

Ich wünsche allen, dass ihnen gelingt,

  • Routinen zu unterbrechen
  • Abstand zu gewinnen und abzuschalten
  • sich zweckfrei Zeit zu geben
  • und sich gut zu erholen.

Ferien


Außerdem ist die Urlaubszeit auch eine Möglichkeit,
sein Leben nochmals in Ruhe zu betrachten
und nach Orientierung zu schauen,
auch
auf sich selbst und Orientierungen zu hören
(für Bibel-Leser/innen: vgl. 1 Kön 3, 5.7-12),
Ziele zu überprüfen und neue Ziele zu setzen.

Dazu können solche – oder ähnliche – Fragen hilfreich sein:

  • Womit bin ich zufrieden?
  • Was wünsche ich mir nicht so, wie es ist? Wie sollte es meines Erachtens werden?
  • Habe ich ein großes Ziel oder mehrere kleine Ziele? Welche?
  • Wenn ich Ziele hatte, habe ich diese erreicht? Wie weit? Wie? Warum eventuell nicht?
  • Mit welchen Personen möchte ich mehr Kontakt?
  • Welches Thema in meinem Leben soll mehr Energie bekommen?
  • Was sagt mein „Herz“ (Gefühl, Intuition)?

Meine eigene Erfahrung mit solchen „Zwischenbilanzen“, die ich gerne für mich selbst aufschreibe und aufbewahre, ist sehr positiv.
Ich werde mir so wieder ausdrücklicher meiner Ziele, meiner Bewertungen („Erfolg“ oder „Misserfolg“ bewusst.

Aus diesen Bilanzen entwickle ich dann kurz- und mittelfristige Ziele.

Ich wünsche allen Leser/innen von Herzen, dass ihre Bilanz zufriedenstellend ausfällt und dass sie sich anregend, vielleicht sogar herausfordernde Ziele für Ihren nächsten Lebensabschnitt setzen können.

zuletzt bearbeitet am 8. 08. 2010                  zur druckerfreundlichen Ansicht zur druckerfreundlichen Ansicht