Nein, ich werde in diesem Jahr keine Pause mit dem traditionellen Impulstext zum Start in den Advent einlegen.
Aktuell gibt es eine Vielzahl bedrückend-drängender Themen. Mit einigem Recht darf man sie Krisen nennen. Manche finden auch schon sprachliche Neubildungen wie „Polykrise“ dafür. Die mediale Aufbereitung kann überschwemmen und die Summe der Nachrichten mut- und kraftlos machen. An manchen Tagen habe ich mich auch schon entschieden, keine weiteren (Krieg-)Nachrichten aufzunehmen, um mein mentales Gleichgewicht zu bewahren.
Resignation und Mutlosigkeit sind für mich keine sinnvollen Optionen.
Allerdings werde ich älter. Dadurch konnte, wolle und musste ich lernen, sorgfältig auf meine Kräfte und Erholungsphasen zu achten. Tatsächlich war es in diesem Jahr eine Zeitlang unsicher, ob es diesen traditionellen Impulstext zum Start in den Advent 2022 auch dieses Jahr wieder geben würde.
Schlussendlich habe ich entschieden, genau diesen Bedarf nach Energie und Durchhaltevermögen zum Thema meines diesjährigen Impuls-Textes zu machen. Ich schreibe diese schließlich auch für mich selbst und suche dabei auch für mich Klarheit und Übersicht.
Unterbrechen wir die alltägliche Geschäftigkeit, nehmen wir uns Pausen!
Tatsächlich gehöre ich zu den Menschen, die gerne (und auch viel) arbeiten. Nur ist es sicher ungesund, dies rund um die Uhr zu versuchen.
Unterbrechungen, Distanzierungen und Perspektivenwechsel verhelfen häufig zu neuen Einsichten und fördern damit Qualität. Darum schätze ich Unterbrechungen und nehme mir dafür Zeit. Dafür muss man sich auch nicht das Rauchen angewöhnen. Bewusste Pausen und Verteidigung dieser zweckfreien Zeiten kann auch schon bedeutsam und wirkungsvoll sein.
In meinem Hauptberuf als Lehrkraft gibt es immer mal wieder die unangenehme Tendenz, „noch schnell in der Pause“ eine Absprache zu treffen oder etwas zu organisieren. Manchmal werden sogar Konferenzen in die „Pausenzeiten“ gelegt. Dann werde ich rebellisch. Ich verteidige meine wirkliche Pause und behaupte ‑ außer in Krisensituationen ist es möglich ‑ die Arbeit regelmäßig für Pausen zu unterbrechen.
Mit Abstand kann auch der Luxus eines Meinungswechsels möglich werden
Wer aus dem Trott und den täglichen und lieb gewonnenen Angewohnheiten und Annahmen heraustreten kann, findet neue Perspektiven und könnte auch seine Meinung ändern.
Die Änderung
der eigenen Meinung braucht
ein viel besseres Image.Journalist und Autor Dirk von Gehlen
https://www.instagram.com/p/CeWOI8aKaM_/
Dirk von Gehlen regt mich regelmäßig zum Nachdenken an. In der durch die Mechanismen der interaktiven Medien-Kultur radikalisierten, öffentlichen Gesprächsatmosphäre klingt dieses Zitat für mich wie Balsam. Tatsächlich benötigen wir meiner Meinung nach nämlich mehr Nachdenklichkeit, Faktenorientierung und Beweglichkeit und weniger Lautstärke in den Lösungsversuchen oder Fundamentalismus zu wichtigen Fragen. Da hilft, sich selbst und sein Selbst-Marketing weniger wichtig zu nehmen als sachliche Argumente und sich inhaltlich beweglich zu halten.
Wer gewohnte Geschäftigkeiten unterbricht und sich eine Pause gönnt, gewinnt oft neue, wertvolle Perspektiven.
Der Herbst, Advent, Weihnacht und die Jahreswende bieten Gelegenheiten, sich Muße, Unterbrechungen, Pausen und Perspektivenwechsel zu gönnen. Ich wünsche Ihnen und mir, dass es gelingt, nachzusinnen, sich zu überprüfen, zu relativieren und eventuell Positionen oder Meinungen zu wechseln.
So wünsche ich Mut für Unterbrechungen, Erholung
und Gesundheit und Zuversicht und einen guten Start in das neue Jahr 2023!
Weiterführende Quellen und Verweise
- Ronja von WURMB-SEIBEL: Wie wir die Welt sehen. Was negative Nachrichten mit unserem Denken macht und wie wir uns davon befreien können. Kösel. München, 2. Aufl. 2022
- Peter ROSLING. Factfulness.
Spielerisch kann man sich dem faktenreichen Update der eigenen Weltsicht auch über https://www.gapminder.org/ – und auch der https://www.gapminder.org/dollar-street darin nähern. - Quelle für das Gehlen-Zitat: https://www.instagram.com/p/CeWOI8aKaM_/ (8.11.2022)
- Dirk von Gehlen: Die Gluttheorie der politischen Debatte. Dlf-Sendung vom 26.05.22 in der Reihe „Essay und Diskurs“
- Eine Idee zur Förderung der Demokratie, in dem mehr über Meinungsänderungen gesprochen wird.
- Malte Kreutzfeld: Scheitern? Muss nicht sein (zu Klimakrise und Kapitalismus; taz, 11.11.22)
zuletzt um einen Gehlen-Link ergänzt am 14.03.2024 zur druckerfreundlichen Ansicht